Brigitte Wenzel-Perillo

Lehren für die CDU aus dem Zerfall der Democrazia Christiana


Die vergangenen Wochen und Monate haben die Christlich Demokratische Union in eine schwere Krise gestürzt. Die Partei erschien mir gelähmt in ihrer Handlungsfähigkeit – ein Zustand, den ich mir nie hätte vorstellen können. Eine Volkspartei, die unter Konrad Adenauer und Ludwig Erhard - insbesondere in der Nachkriegszeit und später - Deutschland zu Wohlstand und weltweiter Anerkennung verhalf.

Der feste Glaube und das Festhalten an der deutschen Einheit brachte den Eisernen Vorhang zu Fall. Fast alle hatten uns im Osten aufgegeben, unsere gemeinsame deutsche Identität - Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl und die CDU nicht! Deutschland ist wieder eins in Frieden, Freiheit und Demokratie. Das ist ein grosses Geschenk, was viele heute als selbstverständlich hinnehmen, das aber keinesfalls selbstverständlich war!

Deshalb ist es für mich um so erschütternder, die CDU heute in einer schweren Krise zu sehen. Die Geschehnisse der vergangenen Wochen riefen in mir Erinnerungen an meine Jahre in Italien hervor und an ein denkwürdiges Ereignis – den Zerfallsprozess einer grossen demokratischen italienischen Volkspartei. Die italienischen Parteien befanden sich in den achtziger Jahren in einer Krise, verursacht durch eine gerichtliche Ermittlung, die "mani pulite – saubere Hände" genannt wurde. Die Mailänder Staatsanwaltschaft ermittelte gegen ein führendes Mitglied der sozialistischen Partei und klagte dieses Mitglied wegen Korruption an. Das war der Anfang. Es kam ein weit verbreitetes, konsolidiertes System der Korruption zu Tage. Das war so verbreitet, dass in den betroffenen Parteien selbst man schon glaubte es sei normal, "... wer nicht zahlt ... erhält auch nichts ..."

Die Bevölkerung reagierte zunächst ungläubig und sehr überrascht auf die Veröffentlichungen und strafte Politik und "Politisierer" mit Abneigung, Frust und allen möglichen Phänomenen, die eine solche Situation nach sich ziehen kann. Die beteiligten Parteien waren total paralysiert - sie waren in ihren Handlungen gelähmt. Ebenso interessant war, dass führende Kräfte der betroffenen Parteien nicht reagierten. Verwirrung, Angst oder auch Schrecken, vom Staatsanwalt vernommen zu werden, den eigenen Namen von heute auf morgen in den Schlamm gezogen zu sehen, riefen Panikstimmung hervor wie bei einem Schiffsuntergang. Die ersten, die das sinkende Schiff verlassen, sind die Ratten "... Rette sich, wer kann ..."

Diese Situation empfanden viele Parteimitglieder als eine schwere Last, die Institution Partei funktionierte nicht mehr, es gab keine Projekte, Programme, es wurde nicht mehr regiert, keine Opposition gemacht ...

Das Wichtigste und Interessanteste aus all dem war allerdings, dass Personen, die die Staatsanwaltschaft angegriffen hatte, von der eigenen Partei allein gelassen wurden. Es schien sogar, dass einige führende Kräfte der Partei von dieser Situation profitierten. Es kam zum Bruch der Partei. Einige Verantwortliche suchten sich Gleichgesinnte und bildeten neue, kleine Parteien. Die grosse Volkspartei war verschwunden, sie hatte die Unterstützung bei der Basis natürlich verloren, sie hat sich in kleine Gruppen und Parteien aufgesplittert, die weder Kraft noch Macht haben. Eine grosse Volkspartei, die ein Land jahrzehntelang regiert hat, ist verschwunden – spurlos.

Ich meine, daraus folgende Konsequenzen ziehen zu müssen:

  1. Eine Partei sollte zusammenhalten "in guten wie in schlechten Zeiten" und niemanden allein im Regen stehen lassen.

  2. Der Versuchung des "Rette sich wer kann" widerstehen und sich über Wasser halten - mit dem "Rettungsboot": starkem Willen, Glauben und aller verfügbaren Kraft an einer neuen Zukunft arbeiten.

  3. Hätte die Aktion "Saubere Hände" eine in ihrem Glauben starke, prinzipientreue und zu ihren Idealen stehende Partei getroffen, wären die Auswirkungen sicherlich nicht so dramatisch gewesen, sondern man hätte den Sturm überstanden.

Ich glaube, man muss ganz einfach akzeptieren, dass Politik auch in einer Demokratie ihren Preis hat, der aber nicht mit Korruption gleichzusetzen ist! Das Parteiensystem gehört zur Demokratie.

Ich bin seit Januar 1992 in der CDU und ich bin es gern! Die CDU ist eine demokratische Partei. Sie ist die Partei der deutschen Einheit und eines freien, friedlichen Europas.

Das soll auch in Zukunft so sein.
 


 
 Brigitte Wenzel-Perillo ist Tierärztin aus Kitzen bei Leipzig und Mitglied des Europäischen Parlamentes.